Unterwegs für Kinder in Bethlehem
Südkurier 03.11.2016
Markdorfer Martinisänger sammeln für das Caritas Baby Hospital in Palästina. Die Kinder und Jugendlichen ziehen von Haus zu Haus. Der jahrhundertealter Brauch ist eine lokale Besonderheit
Markdorf – Und dann spricht er noch das Gebet. Pfarrer Ulrich Hund bittet, „begleite diese Kinder und Jugendlichen“, während die kleine Gruppe vor ihm wartet. Ein Dutzend in wärmende Jacken und Mäntel gehüllte Jungen und Mädchen.
Einige sind schon älter, Ministrantenleiter, die die Martinisänger in dieser Woche in Markdorf begleiten. Sie ziehen durch die Stadt, gehen von Haus zu Haus, klingeln an den Türen und bitten um Spenden fürs „Caritas Baby Hospital“ in Bethlehem. „Öffne die Herzen“, betet der katholische Pfarrer weiter. Damit die Martinisänger, von denen einige Hüte, Stecken und Lampen tragen, großherzig begegnet wird und möglichst Spendengeld fließt.
Sie klingt schleppend. Auch wirkt sonderbar, wie betont wird. Auf eine lang gedehnte erste Silbe folgen fünf sehr rasch gesungene Silben, deren vorletzte den Akzent trägt. Was den fremdartigen Eindruck der Melodie nur verstärkt. Kein Wunder, dass dieses Lied heute seltsam klingt. Stammt es doch aus ferner Vergangenheit. Viel spricht dafür, dass das Markdorfer Martinilied zur gleichen Zeit entstanden ist, wie der gesamte Brauch. Jener Brauch, dass vor dem Martinstag am 11. November Kinder und Jugendliche durch die Stadt ziehen, um Spenden zu erbitten.
Wie der verstorbene Stadtarchivar Manfred Ill in seinem Aufsatz über „Markdorfer Brauchtum im Jahresreigen“ schrieb, geht das Martinisingen auf die Stiftung eines Markdorfer Bürgers zurück, des Stadtammans, Vertreter des Bischofs in Konstanz, des Stadtherren von Markdorf. 1631 hatte er angeregt, dass vier Chorschüler, deren Unterricht er mit seiner Stiftung finanzierte, am Martinsabend in der Stadt singen sollten. Zweck war, genügend Geld einzusammeln, um damit eine „fette Gans“ für den Chorleiter zu finanzieren. Ganz ähnlich oder genau so geschah es seinerzeit in vielen Städten. Doch dass sich diese Gepflogenheit über die Jahrhunderte hinweg in Markdorf erhalten hat, macht den Brauch zu einer lokalen Besonderheit.
„Schon zum zweiten Mal jetzt“, antwortet Magdalena auf die Frage, wie oft sie denn schon mitgelaufen sei bei den Martinisängern. Die Siebenjährige ist nicht die einzige aus ihrer Familie. Ihre Schwester Helene und Maximilian gehen ebenfalls mit. Mutter Christine Mann begrüßt es, wenn ein schöner alter Brauch erhalten wird.
Das Spendenziel, das Betlehemer „Caritas Baby Hospital“, wird von deutschen und auch schweizerischen Ärzten betrieben – dies mit der Unterstützung von einheimischem Personal, erklärt Pfarrer Ulrich Hund. Das am 17. Juni 1952 gegründete Spital liegt vor den Toren Jerusalems. „Etwa dort, wo den Hirten der Engel erschienen ist“, so der Markdorfer Pfarrer zu den Martinisängern, die danach ihr Lied anstimmen: „O heiliger Martine, du Inwohner ewiger Freuden…“
Der Brauch
Das Martinisingen ist ein Brauch, der in dieser Form nur noch in Markdorf existiert. In der Zeit vor dem Martinstag am 11. November ziehen mehrere Gruppen von Kindern und Jugendlichen von Haus zu Haus, um ein altes Madrigal zu singen. Dies ist ein lateinisches Lied zu Ehren des heiligen Martin. Seit jeher tragen die Martinisänger einen breitkrempigen Hut, einen Stock und eine Laterne. (Quelle: Stadt Markdorf)
Heidenlärm aus allerchristlichstem Anlass
Südkurier 29.03.2016
An Karfreitag und Karsamstag schweigen die Glocken auf der Kirche St. Nikolaus
„Wie lange dauert’s noch?“, fragt Florian. Die Miene des Elfjährigen verrät, dass er es kaum abwarten kann. Denn gleich, sobald der Drei-vierteldrei-Glockenschlag verklungen ist, soll’s losgehen. Jenes Riesengetöse, jenes Rattern, Hämmern und Schlagen, das Schnarren und Knarren, dass etliche Minuten lang anhalten wird. Noch heißt es auszuharren. Zeit genug, um das halbe Dutzend Ministranten, die soeben die steilen Stiegen zu einem der höheren Geschossböden des Turms der Markdorfer St.-Nikolauskirche erklommen haben, nach ihrem Vorwissen zu fragen. „Na, weil die Glocken schweigen müssen“, antwortet Jack. Der Zehnjährige hat erfahren, dass von Gründonnerstag bis zum Gloria nicht mit Wohlklang zum Gottesdienst gerufen wird. Statt des harmonischen Läutens rattern hölzerne Ratschen. „Der Jesus ist gestorben, da soll nichts schön klingen“, erklärt er. Außerdem aber gibt es die Legende, die erzählt, dass die Glocken in dieser Zeit nach Rom fliegen und deshalb nicht zu hören sind. Leah Radau berichtet vom Gründonnerstag-Gottesdienst. Da gab es zum Sanctus noch ein mächtiges Orgelbrausen, „wo richtig tutti“ – danach war Schweigen. Doch von Schweigen kann nun nicht die Rede sein. Kaum ist der Viertel-Stundenschlag verhallt drehen und kurbeln die Ministranten aus Leibeskräften. Die Anstrengung steht ihnen ins Gesicht geschrieben, aber alle lächeln.
Sensationeller Erfolg der Markdorfer Sternsinger-Aktion
Südkurier 11.01.2016
Die Markdorfer Ministranten haben über 10 000 Euro an Spenden eingesammelt.
Unglaubliche 10 670 Euro und 66 Cent haben die Sternsinger-Gruppen allein in Markdorf gesammelt. Er könne sich nicht erinnern, so hat Pfarrer Ulrich Hund beim Gottesdienst am Dreikönigstag geäußert, dass je soviel zusammengebracht worden sei. Jedenfalls nicht in den zehn Jahren, in denen er in Markdorf ist. Ebenfalls noch nie dagewesen sei, dass die Mädchen und Jungen der Sternsinger-Gruppen das gesamte Stadtgebiet abgegangen sind.
Leah Radau, eine der Oberministrantinnen, vermutet: „Wahrscheinlich liegt das am milden Wetter.“ Die hohen Temperaturen hätten dazu geführt, dass kaum jemand über die Weihnachtsferien zum Wintersport gefahren sei. Mit der Folge, dass einerseits mehr Leute in ihren Wohnungen angetroffen wurden – und Geld in die Sammelbüchsen steckten. Zum anderen aber waren auch mehr Sternsinger unterwegs Hatten im Vorjahr 40 Kinder den Königs-Mantel übergeworfen und die Kunststoff-Krone aufgesetzt, so klingelten heuer mehr als 50 Kinder an den Markdorfer Türen. Und ihre neuen Gewänder mögen ein weiterer Erfolgsfaktor gewesen sein, so glaubt Leah Radau. Zumal die kleinen Könige in ihren größtenteils neu geschneiderten, überdies prächtig verzierten Kostümen „richtig was hergemacht haben“ – mithin zu angemessener Freigebigkeit verlockten.
Großzügig haben sich die Markdorfer übrigens nicht allein bei den Geldspenden gezeigt. Sie gaben den Sternsingern auch viele Süßigkeiten mit. Soviel sogar, dass die Kinder einen erklecklichen Teil davon an die Markdorfer „Tafel“ weitergeben. Damit auch die Kinder dort ihren Teil abbekommen. Die gesammelten 10 670 Euro jedoch fließen in die diversen Hilfsprojekte, die die weltgrößte Spendenaktion von Kindern für Kinder vor allem in den Entwicklungsländern unterstützt.
Wie Leah Radau berichtete, haben die Sternsinger-Gruppen einigen Ehrgeiz entwickelt, sowohl die Ergebnisse vom Vorjahr zu toppen, als auch die je anderen Gruppen zu überbieten. Dieses Ergebnis im nächsten Jahr wieder zu erreichen, das sei schon eine schwierige Herausforderung, prophezeit die Oberministrantin.
Sternsinger berichten von Erlebnissen beim Spenden sammeln
Südkurier 08.01.2016
In diesem Jahr waren in Markdorf so viele Sternsinger unterwegs, dass seit langer Zeit wieder einmal das gesamte Stadtgebiet abgedeckt werden konnte. Fünf Sternsinger haben wir begleitet.
Wo es denn eigentlich hingehe, fragt Helene von der hinteren Bank. Der Kleinbus ist schon losgefahren, Leander abholen. Dann geht es weiter zu den Wohnblöcken jenseits der Markdorfer Zeppelinstraße. Dem letzten Gebiet, das Leah Radau auf dem Stadtplan blau markiert hat. Sie gehört zu den sechs bis sieben Ministranten-Leitern, die in den zurückliegenden Tagen aus dem Kellergewölbe unter der Mittleren Kaplanei eine Art Sternsinger-Büro gemacht haben. Eine Anlaufstelle für die Kinder, die seit dem 2. Januar auf den Straßen der Gehrenbergstadt unterwegs waren.
„Wir sammeln Geld für Bedürftige“, antwortet Finia Engel. Das sei auch der Grund, weshalb sie schon zum dritten Mal an der Sternsingeraktion teilnimmt. „Die Spenden kommen ausschließlich Hilfsprojekten für Kinder zugute“, erläutert die Zehnjährige. Unter anderem fließe das Geld in die Bildung, ergänzt Finias Freundin Luisa. Auch sie trägt einen aufwendig bestickten Umhang und hat eine Krone aus Kunststoff auf dem Kopf. Nur Leander, der schon am Straßenrand wartet, trägt einen Turban.
Unterwegs erörtern die fünf Sternensinger, ob und in welches Lokal sie am Abend gehen. In den Tagen zuvor haben sich die Gäste in den Markdorfer Lokalen immer besonders spendenfreudig gezeigt. Finia erzählt von einer Dame, „bei der sind seit 17 Jahren zum ersten Mal wieder Sternsinger gekommen, die hat uns zwei 20-Euro-Scheine gegeben“.
Es seien nur wenige, die nichts spenden, berichten die Sternsinger. Manche sagen, sie seien gerade unter der Dusche oder hätten kein Geld im Haus. Wenige zeigten sich sogar unwirsch. „Aber die meisten sind freundlich zu uns“, erklärt Luisa. Mitunter wird den Kindern auch etwas zum Trinken angeboten. Ministrantenleiterin Leah Radau weiß von keinen wirklich unangenehmen Situationen. Trotzdem laufen in allen Gruppen auch Größere mit. Und die kleineren Sternsinger werden zum Teil von ihren Eltern begleitet. „So viele wie in diesem Jahr waren schon lange nicht mehr unterwegs“, erklärt die Ministrantenleiterin – der Grund, weshalb seit langem einmal wieder das gesamte Stadtgebiet abgedeckt ist.